Gegenwehr – abcEtüde 06*07*08*09**23 #3

TRIGGERWARNUNG: Messer, Blut, Mißbrauch

Sie zog das Messer für einen geraden Schnitt durch die Haut. Blut sickerte tief rot aus der oberflächlichen Wunde. Sie sah dem dicken Tropfen zu: er kullerte gemächlich über ihren blassen Unterarm, tropfte schließlich ab und landete auf den weißen Fliesen, wo er sternförmig zersprang.
Das Muster gefiel ihr.
Sie betrachtete es lange.
Sie stellte sich vor, wo sie das Messer durch fremde Haut stieß. Das Blut würde dynamischer spritzen, wenn sie richtig traf. Sie würde ihm zusehen wie er verblutete und keinen Finger rühren, um ihm zu helfen. Sie würde warten bis er nicht mehr atmete.
Dieses hässliches keuchende Atem, dass sie immer wieder hörte, wenn sie die Augen schloss.
Sie schnitt sich erneut.
Unbewusst.
Sie zuckte zusammen.
Sie hasste sich dafür, dass sie jedes Mal völlig starr war vor Angst und sie wusste, sie würde auch in der kommenden Nacht nicht die Kraft finden, sich zu befreien. Apathische Lähmung würde sie beherrschen wie in jeder anderen Nacht davor.

Die Tür zum Badezimmer wurde aufgestoßen.
Er stand in der Tür.
Sah auf sie hinab.
Ein verächtliches Grinsen machte sich in seinem Gesicht breit.
Sekundenlang starrten sie sich an.
Dann drehte er seinen Kopf über die Schulter zurück und rief:
„Schaaatz! Deine Tochter macht schon wieder eine Sauerei im Bad!“ deshalb sah er nicht wie sie sprang.
Sie stieß nicht zu.
Sie zog das Messer einmal schräg von seinem Ohr bis zum Kinn.
Seine Augen wurden groß. Das Grinsen verschwand.
Sie trat zurück und setzte sich wieder auf den Wannenrand.

Eine Geschichte im Rahmen der Schreibeinladung von Christiane zu den abcEtüden.